Hannover solo exhibition review

Yahon Chang – Wesen und Antlitz

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Ankündigungstexte von Ausstellungen asiatischer Künstler in Deutschland sind kryptisch, müssen es fast zwangsläufig sein, denn man ist gewungen zugleich mit dem Fremden und dem Vertrauten zu werben.

Das ist auch bei Chang Yahon* aus Taiwan der Fall. Es wird auf seine Wurzeln in der Kalligraphie hingewiesen und ebenso auf eine Brücke zur westlichen Malerei. Solche Hinweise sind so herrlich vielfältig, dass man sich keine Vorstellung vom Ergebnis machen kann.

Ich habe in China Ausstellungen mit klassischer Tuschemalerei gesehen und Arbeiten mit teils zaghaften, teils vehementen Schritten in eine zeitgemäße Darstellungsform. Ich habe aber auch Ausstellungen mit aktueller chinesischer Kunst (vor allem in Peking) gesehen. Und ich habe immer wieder versucht, mich mit Künstlerinnen und Künstlern über ihre Arbeiten zu unterhalten. Ich habe manches verstanden, aber vor allem ahnend gelernt, dass eine Brücke des Verstehens vielleicht garnicht möglich ist.

Nach der Ausstellung von Chang Yahon würde ich sagen, dass ein Verständnis von einer zur anderen Kunst, von einer zur anderen Kultur auch nicht notwendig ist.

In der Kunsthalle Faust (Hannover) wird in durchaus umfassender Weise das Werk des heute 66jährigen Künstlers in einem großen Raum präsentiert. Ein erster Rundblick verwirrt, weil man einerseits Arbeiten sieht, die deutlich aus der Arbeitsweise der Kalligraphie herkommen, andererseits Arbeiten, die ein Eintauchen in europäische Formen und Sujets der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts widerspiegeln. Man kann das nicht zusammen bringen und man kann es auch nicht verbinden.

Man sieht, dass Chang ein präzise arbeitender, kenntnisreicher Künstler ist, der mit Farben und Formen sicher umgeht.

Europäisch-amerikanische, also westliche Kunst befragen wir gerne nach Inhalten – was versteckt sich in Figuren, Symbolen, Farben und Formen. Und Kunstwerke aus dem chinesischen Kulturraum werden gerne auf eine Verbindung zur alten Kultur oder von der Tradition zur Zeitgenossenschaft hin betrachtet. Ich habe den Künstler genau in diesem Sinne nach dem Weg von der klassischen Kalligraphie zur modernen Tuschemalerei und nach der Übertragung in die sich so anders verhaltenden Ölfarben gefragt. Die Antwort war keine Antwort in unserem Sinn. Sie war eine Wegweisung in historische Tiefen der Kultur.

„Man nimmt ein kleines Element“, sagte Chang Yahon (in der englischsprachigen Intepretation seiner Tochter), „und versucht herauszufinden, wie man es entwickeln und in seiner Bedeutung vergrößern kann. Im Grunde ist es ein Verstehen der alten chinesischen Schriftkunde und Literatur. Je tiefer man geht, um so empfindsamer wird es  (very sentimental); es ist ein imaginärer Raum voller Poesie. Es geht um ein Bewußtsein des Raumes.“

Während Changs Tochter Francise mir seine Hinweise und Gedanken übersetzte und erläuterte, nahm er meinen Katalog und „schrieb“ rasch einen Kopf aufs Papier und in einem zweiten Akt „zeichnete“ er eine zeitgenössische Kalligraphie. Beides kommt für ihn aus dem gleichen Strich.

Es gibt aber auch stark farbige Ölmalereien von großen Leinwänden mit Köpfen, Gesichter in Schwarz-weiß und Farbe, bemalte Keramiken und glänzend polierte Metallgesichter als Skulpturen in seinem Œuvre. Diese Vielfalt kann man nur umfassen, wenn man hinab steigt in der erwähnten „imaginären Raum voller Poesie“, sonst bekämpfen sich die Sujets und die Stile.

Mir schien die Vielfalt in der Ausstllung zwar informativ, aber auch unangebracht (ohne dass ich dafür eine klare Erklärung hatte). Als ich später mehrere Kataloge durchblätterte, fand ich einen mich überzeugenden Hinweis: alle Arbeite von Chang Yahon sind Solitäre. Dass sie als Reihen oder thematische Zyklen präsentiert werden, verleitet uns Veränderungen, Weiterungen, Abwandlungen von einem zum anderen zu erwarten und zu suchen. Aber es sind keine Veränderungen der Sujets, es sind Veränderungen der Empfindungen, des Raumes oder der Raumtemperaturen. Es sind Nuancen eines Zeichens wie es sie in der chinesischen Schrift immer wieder gibt. Die Verknüpfung von Zeichen-Wurzeln (Radices) und die Addition verschiedenartiger Zeichen zu neuen Wörtern und Bedeutungen sind ein „movens“ der künstlerischen Arbeit von Chang Yahon.

Man sollte seine Arbeiten nur einzeln betrachten, sich nur auf ihren Raum konzentrieren, dann erfasst man die Qualität des Künstlers und seiner Werke. Es ist gleichgültig, wie europäisch Chang Yahons Malerei uns manchmal erscheint, sie setzt sich nicht mit der westlichen Kunst auseinander, sondern mit einem Raum, den ihm die traditionellen Elementen seiner Kultur vorgeben.

Vergleichen bringt keinen Gewinn, aber sich einlassen auf das scheinbar so Vertraute im Fremden.

* (Yahon Chang in gewohnter deutscher Schreibweise)

Von September bis November 2013 wurden Werke von Chang Yahon im Kunstforum Markert in Hamburg gezeigt, kuratiert vom Prof. Claus Friede, der ebenfalls die Auswahl für Hannover vornahm.